01.08.2009

Brief aus Athen



Brief aus Athen-Kolonos, 28. Juli 2009, Erster Tag


Kiez

Das Zentrum ist gefährlich geworden, meinen die UreinwohnerInnen. Armut, Einwanderung, Umsiedlung machen das Leben der AthenerInnen sehr schwer. Das griechische Dauermeckern, die Angst- und Panikmache der Medien und des Kaffeeklatsch´ reicht bis in alle Bereiche: die unterirdische Tourismuswerbung, die Neue Grippe, die stets angreifende Türkei, die nagelneue Banden- und Drogenkriminalität, das Griechenland, das sich verändert, und die Schere von Arm und Reich zum ersten Mal so deutlich verspürt. Nach 30 Jahren von vermehrendem Wohlstand gibt es neuerdings verarmte Teilbeschäftigte, Selbstständige und KleinunternehmerInnen in Athen. Die Stadt scheint aus allen Nähten zu platzen. Eine Landflucht (“back to the roots” sozusagen) ist jedoch nicht zu erkennen, obwohl die StädterInnen dritter Generation neuerdings an die Dörfer ihrer Vorfahren Interesse zeigen. Zu lange ist die “Provinz” vernachlässigt worden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in den zwei großen griechischen Städten, Athen und Thessaloniki und meint oder kann tatsächlich nicht mehr auf dem Land überleben. Was sollen sie da arbeiten, fragen sie. Und was die EinwandererInnen hier überhaupt daran finden und in Strömen in den letzten Jahren kommen: keine Ahnung. Es muss ihnen noch dreckiger zu Hause gehen, dass ihnen die Illegalität, die Schwarzarbeit und der unsichere Aufenthaltsstatus als kleineres Übel erscheint. Der Kontrast zwischen der verzweifelten Emsigkeit der griechischen Hauptstadt und der provinziellen Ruhe Leipzigs ist groß.


Radio

Endlich mal ein wenig ordentliche Musik in nicht Dauerschleife hören. Es erholt die Ohren schon sehr, nicht auf einen Sender angewiesen zu sein, der sein Programm nie ändert, wie die meisten deutschen Musiksendern a la "Oldies und das beste von heute". Ich höre gerade das Zweite Programm und damit alles von der griechischen Filmjazzmusik bis zu melodischen und tanzbaren griechischen traditionellen, Latin-, Jazz- und Ethnic- griechisch- und spanischsprachigen Rhythmen. Spanisch ist schwer in Mode.


29. Juli 2009, Zweiter Tag


Musik

Ach, war das schön gestern Nacht! Jorgos Palamiotis (Bass), Demian (Schlagzeug) und Ramón (Keyboard) jammten in Liosporos, Miaouli 24, in Athen-Psirri. Die Jazz- und Latinmusiker aus Griechenland und Kuba haben lässig Michael Jacksons absoluten Hit “Billy Jean” hervorragend in eine East-Mediterranean-Jazz-Version verwandelt und große Begeisterung hervorgerufen. Echt Klasse, Leute!


30. Juli 2009, Dritter Tag


Liosporos

Die Musik ist das schönste in der Miaouli 24. Interessant sind auch die Gäste. Jake aus Detroit auf Geschäftsreise, irgendwas mit Flugzeugen, Thodoras X, Gitarrist aus London, ursprünglich aus Jannina in Urlaub und Y aus Athen, ursprünglich aus Großbritannien, Bassist und Dozent an der Uni Piräus. Bei Blues-Klängen ist es spät geworden.


Bild Athen-Metaxurjio 03/08, Εικόνα Αθήνα-Μεταξουργείο 03/08

Keine Kommentare: